Israel, Reisen

Israelreise: Bethlehem – weit weg vom Stall und einer Krippe

Zunächst einmal ein großes Dankeschön, dass euch der erste Post zu meiner Israelfotoreise mit dem Stilpiraten so gefallen hat!
Ich weiß, dass Israel nicht das typische Urlaubsland für viele ist und das hier ja auch kein wirklicher Reiseblog ist… Desto mehr freue ich mich, dass ihr euch die Zeit nehmt und euch die Israelbeiträge anschaut und lest. Diese Beiträge liegen mir wirklich sehr am Herzen, weil diese Reise mich unglaublich berührt und bewegt hat.

Bethlehem – hier muss ich einmal meine volle Unwissenheit im Vorfeld dieser Stadt zugeben!
In meinem Kopf war der Klassiker – Stall, Krippe, Esel, Stroh – um es mal ganz platt und vereinfacht zu sagen.

Als ich am Abend im Bett lag war ich ein wenig beschämt und habe wieder einmal mehr gemerkt, wie wenig ich über die Welt immer noch weiß.

Was war nun mein Eindruck von Bethlehem?
Zunächst einmal die Fakten, die ihr überall findet. Bethlehem ist eine Stadt im Westjordanland mit ca. 30.000 Einwohnern. Die Stadt gehört zu den Palästinensischen Autonomiegebieten und grenzt im Norden an Jerusalem.

Früher war Bethlehem ein kleiner Ort vor Jerusalem, der durch die Geburtsstädte Jesus und der Nähe zu Jerusalem jede Menge Touristen beherbergte.
Heute sieht das ganze anders aus, immer weniger Touristen kommen in die Stadt, da die mehrmalige Besetzung der Stadt und die 759 km lange Mauer die Touristen verschreckt.
Wenn, dann werden sie meist nur in Bussen zur Geburtskirche bzw. -grotte gefahren, wo sie dann in der Kirche stundenlang anzustehen, um dann ein paar Stufen hinabzusteigen, dort wiederum in ein Loch in den Boden zu fassen, um den Geburtstort Jesus zu berühren.

Möglicherweise hört man es meinem Schreibstil an – für mich war das Theater in der Kirche nichts, auch wenn ich durch den Ausgang in die Grotte gekommen bin (ein Aufseher war so nett und hat ein Auge zugedrückt) und ich so nicht anstehen musste. Unten schupsen sich dann die Touristengruppen aus den USA, China, Italien und co, um schnell in das Loch fassen zu dürfen und noch fix ein Selfie davor zu machen. Einzig der Gesang, den eine Gruppe angestoßen hat war wunderschön, weil die Akustik in der Grotte sehr stimmungsvoll ist.

Eingang zur Geburtskirche

Aber wir waren auch nicht hauptsächlich wegen der Kirche da, sondern um die Stadt selber zu sehen, was leider viele heutzutage nicht mehr machen.

Unsere Anreise war bequemer als gedacht, wir konnten ohne große Probleme die Grenze passieren, da die aktuelle Lage relativ entspannt ist. Natürlich mussten wir trotzdem unseren Pass immer dabei haben und die Überfahrt ging auch nur so einfach, weil wir einen palästinensischen Busfahrer hatten, ein israelischer hätte die Grenze nicht überqueren dürfen.
Als wir auf dem Rückweg unseren Fahrer allerdings „draußen“ auf der israelischen Seite getroffen haben, hat man ein Gefühl dafür bekommen, wie sich die Ausreise für die Palästina anfühlen muss – strenge Sicherheitskontrollen, mehrere Schleusen (in einer von denen ich stecken blieb für ein paar Minuten, ohne zu wissen was gerade los ist), Durchleuchtung wie am Flughafen und die Passkontrolle.

Manche dürfen auf die israelische Seite, weil sie dort arbeiten, diese Erlaubnis kann aber auch jederzeit, je nach politischer Lage, entzogen werden. Auch wenn Deine Eltern zum Beispiel nicht auf die andere Seite dürfen, darfst Du es als Kind auch nicht. Umgekehrt ist es genauso, Israelis dürfen nur rein, wenn sie Soldaten sind. Dieser Gedanke, dass man in einem Land so wenig Freiheiten hat, hat mir so sehr vor Augen geführt, was für ein Glück wir hier in Deutschland haben, dass wir innerhalb Europas ohne Grenzkontrolle reisen dürfen und dass weltweit ein deutscher Pass so ziemlich das beste ist, was einem passieren kann, in Bezug auf den Luxus sich frei bewegen zu dürfen.
Zwar habe ich so etwas in der Richtung vorher schon mal gesagt, verstanden habe ich es aber erst in Israel.

Der Weg zu den Sicherheitskontrollen – je nach politische Lage stehen hier Schlangen an Menschen

Nachdem wir die Grenze passiert hatten, wanderten wir ein wenig durch die Straßen, bis wir zum Wochenmarkt kamen. Dort hatten wir die Aufgabe uns für einige Zeit, jeder für sich, frei zu bewegen, Eindrücke und natürlich auch Fotos zu sammeln.
Ich gestehe, ich war an diesem Morgen zunächst nicht so angetan von der Aufgabe. Auf den ersten Blick sah nichts so richtig „hübsch“ aus (was ich eigentlich lieber fotografiere, wahrscheinlich weil es einfacher ist), eher etwas deprimierend. Hinzu kam, dass man dort wirklich gemerkt hat, dass die Touristen ausbleiben und ich die einzige blonde Frau auf der Straße war. Eigentlich kein Problem, aber schon in Marokko oder Istanbul haben mich die Blicke und dummen Sprüche vieler Männer maßlos genervt, als ob ich ein Stück Vieh bin (ich möchte hier auf gar keinen Fall dieses Verhalten verallgemeinern! Dies sind lediglich die Erfahrungen, die ich leider gemacht habe und mich dadurch nicht wohl gefühlt habe).

Nach ein paar Minuten, einige Leute guckten natürlich schon, habe ich mir mein Tuch locker um den Kopf gebunden, zum einen, weil es mir gefühlt ein wenig Schutz bot und zum anderen, weil ich der Meinung bin, dass ich mich an die Gepflogenheiten meiner Gastgeber anpassen sollte. Dies mache ich überall so und für mich gibt es da auch keine Diskussion (wenn da doch mal jemand mit mir diskutieren möchte, bringe ich gerne das Beispiel, dass ich auch meine Schuhe ausziehe, wenn ich bei jemanden in die Wohnung eingeladen werde, wenn dies erwünscht ist).

Dennoch war ich an diesem Morgen noch nicht in der Stimmung offen und herzlich auf die Leute zuzugehen, in ein Gespräch zu kommen und vielleicht ein paar Fotos machen zu können.
Also beschloss ich, an einem Stand mir erst einmal einen arabischen Kaffee zu holen und vielleicht entwickelt sich daraus ja etwas. Und siehe da, der Mann am Kaffeestand war unfassbar nett und freundlich, hat mir genau gezeigt wie das mit dem Kaffee funktioniert, hat mich riechen lassen, wir kamen ins Gespräch, ich durfte Fotos machen und nachdem ich ihm diese gezeigt hatte, wurde sich noch mal in Pose geschmissen. Eine super schöne Begegnung, mit guten Fotos für mich, für uns beide ein Lächeln und ein bisschen Geld für den Kaffee für ihn (obwohl der Preis wirklich lächerlich war, gerade da in Israel sonst alles teuer ist).

Ab diesem Augenblick lief es, ich hatte meine gute Laune zurück, habe die Menschen mit anderen Augen wahrgenommen und wurde auch anders gesehen. Ab dem Zeitpunkt gab es beim Obsthändler Erdbeeren geschenkt, auf dem Markt hatte jeder ein freundliches Wort für mich übrig, ich wurde gefragt wo ich her komme (meine blonden Haare sah man natürlich auch noch unter dem Tuch), dass ich herzlich Willkommen in Bethlehem sei (und so habe ich mich gefühlt! Das waren keine Floskeln) und wurde das eine oder andere Mal gefragt ob ich arabisch kann (denn auch das gehört für mich dazu, ein paar Wörter in der jeweiligen Sprache zu können und sei es nur Hallo, danke, tschüss, das reicht in der Regel vollkommen).
Ich durfte jede Menge Fotos machen, habe mit einem Obsthändler über seinen Studienabschluss in Englisch gesprochen und ging glücklich und beseelt durch die Straßen und war hin und weg von der Freundlichkeit der Menschen, die so wenig haben, in ständiger Angst leben müssen und allen Grund hätten Fremden gegenüber misstrauisch zu sein.

Als ich dann an einer Metzgerei vorbei kam und der Besitzer mir mit Händen und Füßen zu verstehen gab, dass er für mich noch mehr Kaffee hätte, weil meiner mittlerweile alle war, hatte ich wohl eins der schönsten und persönlichsten Erlebnisse der Reise. Ich ging in die Metzgerei, er holte mir einen Barhocker, den er freundlicherweise noch schnell mit einem alten, rosa Babybody sauber machte, bot mir den Platz und einen Kaffee an und begann sich mit mir zu unterhalten, während er weiter sein Hühnchen klein schnitt.
Ich habe hinterher versucht mir diese Situation hier in Deutschland vorzustellen, wo wir hier doch so viel mehr haben und es eigentlich keinen Grund gibt nicht offen, freundlich und neugierig auf fremde Menschen zuzugehen… Jeder kann ja für sich überlegen, ob ihm das hier genauso passieren könnte.

Von besagter Kirche habe ich oben ja schon erzählt – und ich möchte hier keine Diskussion um Religion und Gott lostreten, aber für mich braucht es dadurch keinen besonderen Ort, wo gefühlt so gar keine positive Energie durch die Massen an Touristen herrscht, aber jedem das seine.

Im Anschluss waren wir im wohl skurrilsten Café aller Zeiten, wir saßen unter einem Torbogen auf Plastikstühlen, während Sammy, der „Cafèbesitzer“ uns den besten Tee aller Zeiten gemacht hat – 10 verschiedene, frische Zutaten waren enthalten, den selbst Markus Lanz schon probiert hat (wahre Geschichte, wir haben das Foto von Sammy und Lanz gesehen :)). Auch hier war die Gastfreundschaft perfekt, ich habe noch nie einen besseren Tee, als aus dieser kleinen, schmuddeligen Küche getrunken. Das Rezept kann ich euch leider nicht verraten, ich habe Sammy versprochen, es nicht weiterzugeben. :)

Credit: Wolfgang
Credit: Thomas Jones
Credit: Thomas Jones

Auf dem Rückweg zum Grenzübergang kamen wir natürlich auch an der Mauer vorbei, die 2005 errichtet wurde. 2005? Da war ich gerade im Abijahrgang und habe gefühlt nichts davon mitbekommen! Auch wenn die Mauer an vielen Stellen „schick“ aussieht, weil überall Graffitis zu sehen sind, allen voran weltbekannte Werke von Banksy, darf man nicht vergessen, dass diese Mauer ein Volk in zwei Teile spaltet, oft voller Vorurteile, einfach weil man die andere Seite nicht kennt!

Am Ende des Tages haben wir noch Anasta besucht, die ein kleines Guesthouse in Bethlehem führt. Dort wird einem die absurde Situation mit der Mauer besonders bewusst – ihr Haus ist von drei Seiten von der Mauer eingeschlossen. Auch wurde ihr Haus durch die besondere Lage früher oft von den Soldaten mitten in der Nacht in Beschlag genommen, aufs Dach ihres eigenen Hauses darf sie nicht mehr, weil dieses höher ist als die Mauer… Nur eine der vielen traurigen Geschichten in Bethlehem.

Mein Fazit zu Bethlehem? Ich habe mich unglaublich willkommen gefühlt, die Menschen waren unglaublich nett und offen… und ja, ich habe mich hinterher ein wenig geschämt über meine unbewussten Vorurteile, die ich Palästinensern gegenüber im Vorfeld hatte, denn es hat sich so gar nicht bestätigt. Wie ich meiner Instastory letztens schon meinte – diese Reise hat mir noch einmal mehr gezeigt, dass nicht Völker oder Religionen schlecht oder gut sind, sondern einzelne Menschen, egal welcher Hautfarbe, Religion und Herkunft.

Liebste Grüße,
Ricarda

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8 Kommentare
  1. Cornelia

    9. März 2019 um 20:39

    Ein sehr berührender Bericht. Vielen Dank dafür.

    Antworten

    • Ricarda

      11. März 2019 um 7:40

      Ich danke Dir Cornelia!

      Antworten

  2. Katja

    10. März 2019 um 9:49

    Ich bin sprachlos, toll Ricarda….extrem tolle Bilder und berührende Worte….

    Antworten

    • Ricarda

      11. März 2019 um 7:40

      Ich danke Dir Katja!

      Antworten

  3. Bettina

    13. März 2019 um 11:49

    So schön geschrieben und so tolle Fotos.. Vielen Dank, dass Du uns an deine Erfahrungen teilhaben lässt.
    Liebe Grüße
    Bettina

    Antworten

  4. Tanja K.

    15. März 2019 um 15:10

    Hallo Ricarda,
    vielen Dank für deinen Bericht. Ich war bereits 2 mal in Betlehem, allerdings 1995 und 1999. Damals gab es ja noch keine Mauer, aber trotzdem starke Grenzkontrollen und auch immer wieder die Schikanen, dass die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis palästinensischen Menschen regelmäßig entzogen wurden. Dein Artikel erinnerte mich besonders an ein Gespräch mit einem palästinensischen Arbeiter in unserem kleinen Hotel, der mir erzählte, dass er illegal in Jerusalem lebt und arbeitet, um seine Familie zu ernähren. Ursprünglich hatte er eine Arbeitsgenehmigung, die ihm später wieder entzogen wurde bei einer der Schikanemassnahmen. Nun konnte er zwar arbeiten und Geld an seine Frau schicken, damit seine Familie überleben konnte, dafür konnte er sie offiziell nicht mehr treffen. Damit er seine Familie doch ab und an sehen konnte, half ihm ein Freund. Der war nämlich Israeli und hatte einen höheren Dienstgrad bei der Armee, d.h. beim Übertritt über die Grenze wurde sein Auto nicht intensiv kontrolliert. Regelmäßig schmuggelte er also seinen palästinensischen Freund versteckt in seinem Auto in das autonome Gebiet und später zurück. Mich hat damals diese Geschichte total berührt, weil sie so stark zeigte es ist nicht die Religion, der Staat… sondern es ist immer der einzelne Mensch, der gut oder böse ist, den Unterschied macht… Vielen Dank, dass du mir diese beiden Reisen und die unglaublich vielfältigen Begegnungen wieder in Erinnerung gebracht hast.
    Viele Grüße Tanja

    Antworten

  5. Nikolaus Krandiek

    17. März 2019 um 9:37

    Danke dass du deine Erlebnisse mit uns teilst. Ich glaub du hast mich angefixt ?
    LG Nikolaus

    Antworten

  6. Maria

    12. April 2019 um 22:35

    Liebe Ricarda,

    vielen Dank für deinen tollen Bericht.
    Vor inzwischen 9 Jahren war ich ebenfalls in Israel unterwegs und bin nach wie vor vom Land fasziniert, emotional berührt und beeindruckt. Du hast mir mit Bethlehem nochmal eine weitere Fassette dieses ganz besonderen Landes gezeigt.

    Herzliche Grüße
    Maria

    Antworten

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